Liebesgedichte und Lenin: Deutsch-Deutsches Literaturfestival

„Ein Wunder wäre es gewesen, wenn wir plötzlich frei gewesen wären!“. So fasst der Moderator der kleinen Literatenrunde in Leipzig den Abend zusammen. Es ist der Beginn des Festivals „Montag – Literatur trifft Geschichte“, bei dem es um die friedliche Revolution 1989 und die 20 Jahre danach geht. Alle drei in der DDR geborenen Autoren, die am Donnerstagabend vor den Zuhörern in der Stadtbibliothek sitzen, fühlen sich im Kapitalismus ebenso unwohl wie einst im Sozialismus. „Die 20 Jahre Westen waren für mich die absolute Ochsentour“, sagt etwa der 1966 in Ostberlin geborene Johannes Jansen, der einst in Leipzig mit Zehntausenden immer am Montag gegen das DDR-Regime demonstrierte.

Bis zum Samstag geben sich in der Buchmesse- und Revolutionsstadt rund 40 Ost- und West-Literaten verschiedener Generationen die Klinke in die Hand. In der Bibliotheksabteilung für zeitgenössische Literatur sitzt Jansen mit seinen Schriftstellerkollegen Jayne-Ann Igel und Thomas Kunst zwischen Werken wie „Der Partisanenkrieg“, „Sie wollten Hitler töten“ und „Die Luftschlacht von England“. Nur wenige der vielen grauen Stühle zwischen den Bücherregalen sind besetzt. „Wenn wir wichtig wären, würden hier mehr Leute sitzen. Also sind wir nicht wichtig“, meint Jansen, dessen Werk „Das Manifest“ immerhin im Frühjahr bei Suhrkamp erscheint. Kunst schimpft unflätig über „den unsäglichen Dreck der neuen Nationaldichter Tellkamp, Brussig und Schulze“ und hält sich bei seiner Lesung einfach nicht an das Motto des Abends.

„Ich hatte eine unbändige Lust, das Thema zu verfehlen“, sagt der an der Deutschen Nationalbibliothek arbeitende gebürtige Stralsunder. „Deshalb lese ich Liebesgedichte vor“. Diese wiederum sind eigentlich keine Gedichte, sondern Kurzgeschichten. Jayne-Ann Igel, laut Moderator „1954 in Leipzig geboren als Bernd Igel“, hält sich an das Festivalmotto und liest Texte, in denen die Hauptperson versucht, in einer untergegangenen Republik eine neue Identität zu finden – und die stolz ist über eine Ansichtskarte von Paris, die sie zu sozialistischen Zeiten von einer Schulfreundin hart erkämpft hat.

Nur wenige hundert Meter weiter, im modernen Café der Galerie für Zeitgenössische Kunst, fühlt sich der Festivalgast wie in einer anderen Welt. Der Raum ist voll und verraucht, an einem kleinen Holztisch samt Retro-Stehlampe wechseln sich am Lese-Mikrofon junge Männer ab, die teils die Kinder der drei Literaten aus der Stadtbibliothek sein könnten. Es sind Absolventen des Deutschen Literaturinstituts Leipzig, der einzigen Hochschule in Deutschland, an der es ein Diplom für Schriftsteller gibt. Ein Absolvent dieser Dichterschmiede hat auch das Festival organisiert.

„Ob der Text jetzt schon fertig ist, weiß ich nicht. Ich habe auch die Befürchtung, dass es kein richtiger DDR-Text ist“, entschuldigt sich der 1974 in Berlin geborene Carl-Christian Elze. Seine humoreske Story dreht sich um eine Minikassette – also immerhin ein Relikt alter Zeiten. Später berichtet der Jungautor in schillernden Farben von einer Reise in die Sowjetunion, die er einst von seinem Vater geschenkt bekam; und auf der er ausgerechnet vor Lenins Geburtshaus in Ohnmacht fiel.

An den anderen beiden Festivalabenden trifft etwa der erfahrene Autor Thomas Rosenlöcher auf den Berliner Junglyriker Steffen Popp. Und auch Leipzigs Literaturstar Clemens Meyer wird natürlich lesen.

Quelle: http://www.lvz.de/aktuell/content/85830.html

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Datum: Freitag, 23. Januar 2009 19:46
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